„Nach 40 Jahren DDR war die Zeit gekommen“

Gottesdienst zum Mauerfall am Grenzturm / Pfarrer aus Salzwedel und Lemgow erinnern an Geschichte

Pastor Thorsten Oppermann (Evangelischer lutherischer Kirchenkreis Lüchow-Dannenberg) und Pfarrer Matthias Friske (Katharinenkirche Salzwedel) begehen gemeinsam den Gottesdienst am Grenzturm. Foto: Leonie Dreier

„Wir begrüßen sie recht herzlich im
Niemandsland beziehungsweise im Grenzgebiet“, begannen Pfarrer Matthias Friske von der Katharinenkirche Salzwedel und sein Kollege Thorsten Oppermann, Pastor der Gemeinden Lemgow, Rebenstorf und Bösel, einen ganz besonderen Gottesdienst. Dieser fand am Sonnabend passend zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls am Grenzturm hinter Hoyersburg und in der St. Jacobi-Kapelle in Lübbow statt. „Eigentlich wurde hier die Grenze erst am 23. Dezember 1989 geöffnet. Da dachten wir aber, dass bei dem Datum nicht so viele Besucher kämen. Also haben wir den Gottesdienst vorverlegt“, erklärte Friske.

„Die Zeit rund um die Wende lässt uns Ältere nicht vergessen, dass wir ein Teil davon sind. Wir erzählen unseren Kindern und Enkelkindern weiter, dass in dieser Zeit die Welt friedlich verändert wurde“, führte Oppermann ein. Friske fügte hinzu: „Nach 40 Jahren DDR war die Zeit gekommen. 40 Jahre sind in der Bibel ein Symbol für eine lange Zeit. Mein sechsjähriger Sohn wurde dieses Jahr eingeschult. Als ich eingeschult wurde, war der Zweite Weltkrieg 30 Jahre vorbei. So muss das Jahr 1989 für meinen Sohn heute sein. Aber niemals werde ich die bewegenden Tage 89/90 vergessen, in denen ich das Wunder miterlebt habe. Das Wunder der deutschen Wiedervereinigung.“

Auch Oppermann, der aus dem Westen kam, erzählte den Besuchern seine Erlebnisse in der DDR. Als Kind passierte er im Auto die Grenze Marienborn/Helmstedt. „Mir wurde dabei ganz anders. Überall Stacheldrahtzaun und Scheinwerfer.“ Später, im Sommer 1990, konnte er endlich seine Freunde in Erfurt besuchen. Sein Freund sagte zu ihm: „Man sieht, dass du Wessi bist.“ Oppermann fragte, warum. „Du sagst, was du denkst, ohne dich umzusehen“, antwortete sein Freund. Mit der Wende war für den Pastor das Land weit und offen. „Wenn ich mit meinen Kindern nach Salzwedel fahre, erkläre ich ihnen die Grenze, und dass Freiheit nicht selbstverständlich ist.“ Heute hätten wir keine Freiheit von, sondern eine Freiheit zu, meinte er. „Heute hat man das Recht zu sagen, was man denkt, und das Recht zur Pressefreiheit. Man hat Recht, sich zu versammeln und das Recht zu glauben. Außerdem besitzt man das Recht zu reisen“, verdeutlichte Oppermann das Neue für Ostdeutschland nach der Wende.

Musikalisch begleitete der Posaunenchor aus Rebenstorf den Gottesdienst. Vom Grenzturm ging es dann nach Lübbow in die Kapelle, in der der Gottesdienst fortgesetzt wurde.

Danach lud die Politische Gemeinde Lübbow in die Alte Schule ein. Dort konnten die Besucher bei Kaffee und Kuchen mit Zeitzeugen sprechen. Außerdem ist in der Katharinenkirche in Salzwedel am späten Nachmittag ein Orgelkonzert veranstaltet worden.

Von Leonie Dreier, Volksstimme Salzwedel, 11. November 2019