Baugeschichte
1247 wurde die Neustadt Salzwedel gegründet - die Altstadt ist nur unwesentlich älter (Gründungsjahr 1233). So sind in also in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander zwei Städte mit dem gleichen Namen entstanden, die erst am 13. Dezember 1713 zu einer Stadt vereinigt wurden.
Mit dem Bau der St.-Katharinen-Kirche wird man wohl unmittelbar nach der Gründung der Neustadt begonnen haben - urkundlich belegt ist ihr Bestehen für das Jahr 1280. Vielleicht hat sich der Baubeginn in etwa so zugetragen: Der Bauplatz wird bestimmt, geebnet und vermessen. Dann schlägt man einen Pfahl in die Erde und am 25. November - dem Tag der Heiligen Katharina - wird von diesem Pfahl aus die Ost-West-Richtung abgenommen.
Die Bauarbeiten beginnen. Zuerst wird der Altarraum gebaut - also der Teil, der heute als Vierung zu erkennen ist. Die Maße des Altarraumes entnimmt man der Bibel - dort, wo sie das Allerheiligste im Tempel beschreibt, - denn Architektur ist Theologie. Dann baut man in Richtung Westen das Kirchenschiff an.
So sieht der rekonstruierte Grundriss der Basilika aus dem 13. Jahrhundert aus:
Die St.-Katharinen-Kirche ist von Anfang an als Pfarrkirche für die Neustadt Salzwedel gebaut worden. Das heißt: Sie ist nicht (wie viele andere Kirchen dieser Zeit) als Klosterkirche errichtet worden. So hat es keine Trennung zwischen Chorraum und Kirchenschiff gegeben.
Bis heute spricht der übersichtliche und offene Kirchenraum davon, dass diese Kirche eine Gemeindekirche ist.
Von der ersten Basilika ist nicht mehr viel zu erkennen. Nur der wuchtige Turmsockel erzählt noch von dem Lebensgefühl und der Frömmigkeit der Romanik - die Kirche ist ein bergender und schützender Raum, der vermitteln will: "Hier bist du geborgen wie ein Küken unter dem Flügel der Glucke."
Aber schon das mittlere Portal an der Südseite zeigt, dass die Salzwedeler Gemeinde offenbar gehört hatte: in Frankreich, da baut man anders und da glaubt man anders: Nicht mehr das Schützende und Bergende ist dort wichtig. Vielmehr vermittelt die Kirche nun: "Gott richtet dich auf - in seinem Haus kannst du frei und aufrecht vor Gott stehen."
Die Gotik beginnt Baustil und Frömmigkeit zu prägen. Um 1320 sah dann der Grundriss der Katharinenkirche so aus:
Rund 60 Jahre später reicht die Kirche nicht mehr aus: Gottesdienste werden nun anders gefeiert als noch am Anfang des 14. Jahrhunderts. Dazu braucht man einen hohen und weiten Chorraum: "Christus ist das Licht!" - Das kann man nicht in einem dunklen Altarraum feiern!
Also wird an der Ostseite des Altarraumes ein Chor angebaut und ein Besucher, der zu dieser Zeit nach Salzwedel kam, wird wohl gestaunt haben: Der Chorraum war höher als das gesamte Kirchenschiff!
Aber nach und nach werden das alte Kirchenschiff, die angebauten Seitenschiffe und die Kapellen an der Nord und Südseite des alten Altarraumes auf die Höhe des neuen Chorraumes "aufgestockt" und mit schönen Gewölben versehen.
Um 1450 findet der Salzwedel-Besucher eine völlig veränderte Kirche vor: Nun steht er in einem hohen, lichtdurchfluteten Raum, der von Gottes Größe und Majestät zeugen will und ihn mit Ehrfurcht erfüllt: "Verstehen kann man diesen Gott wohl nicht, aber das darf man wissen: ER ist groß und gütig!" Davon spricht auch die Glasmalerei in den hohen, schlanken Chorfenstern.
Um 1460 beginnt man wiederum, die Katharinenkirche zu erweitern: Man braucht mehr Platz für den Gottesdienst und für die Prozessionen, die zu ihm gehören. Die Eucharistie kann doch nicht nur an einem Altar vollzogen werden - sie muss mit einer regelmäßigen Prozession gefeiert werden!
Das Fronleichnamsfest wird der Gemeinde wichtig und so baut sie die große Halle westlich vom Turm an. Diese Fronleichnamskapelle ist um 1467 fertiggestellt und mit Altären versehen.
Um diese Zeit erhält die Kirche ihre erste Orgel, die auf einer Empore vor der Ostwand des Turmes aufgestellt wird. Bis dahin hatte man im Gottesdienst a capella gesungen oder - in besonders aufgeschlossenen Gemeinden - Instrumente gespielt, wie man sie auf den Fresko-Malereien an der Turmwand noch sehen kann. Nun aber verändert die Orgel den Gemeindegesang von Grund auf.
An der Südseite der Kirche wurde im späten 15. Jahrhundert der zweigeschossige Sakristeianbau errichtet - aus dieser Zeit stammen auch die ältesten Bücher in der Bibliothek im oberen Stockwerk. Und der Turm erhielt mit dem Turmhelm sein charakteristisches Äußeres.
Wenn unser Salzwedel-Besucher also um 1490 wieder vor der Kirche stand, dann hatte er das Bauwerk im Wesentlichen so vor sich, wie wir es heute noch vor Augen haben. Der Grundriss nach dieser letzten Bauphase sieht nun so aus:
Von 1500 an richtet sich die Bautätigkeit der Gemeinde auf die Erhaltung und immer wieder auf die Sanierung unserer Kirche. Als der Blitzableiter noch darauf wartete, von Benjamin Franklin erfunden zu werden, feierte die Gemeinde eindrückliche Gottesdienste. In den Annalen heißt es:
"Der barmherzige, gnädige und gerechte Gott beschloss, seinem gerechten Zorn wegen unserer vielfältigen Übertretung und Sünden am Buß- und Bettag, welcher war der 7. August im Jahre des Herrn 1644, da wir denselben zweifellos nicht so, wie es unserer Schuldigkeit bei so schweren, harten vorgegangenen Land-Strafen, Auflagen und Plagen erfordert hätte, mit bußfertigem und reuigem Herzen gehalten und begangen haben, ungefähr um halb drei Mittags, da der Diaconus Thomas Holmann die Nachmittagspredigt abgelegt, uns mit einem grausamen Gewitter heimzusuchen und nach zwei harten, anzündenden Donnerschlägen, worüber jedermann auf das heftigste in der Kirche erschrocken, unsern Kirchturm oben an dem Knopfe zu rühren."
Bis zwei Uhr in der Nacht hatte man zu tun, das Feuer einzudämmen, das auf die umliegenden Häuser überzugreifen drohte. Von da an wird der Turm das Sorgenkind des Bauausschusses bleiben und den Gemeindekirchenrat regelmäßig beschäftigen - zuletzt 1992 bei der Turmsanierung und Neueindeckung.
Kriegsschäden hat es an der Katharinenkirche nicht gegeben, aber ein schmerzhafter Einschnitt war die völlige Verödung der Kirche um 1960. Damals drifteten die Außenmauern der Kirche immer weiter nach außen, so dass die Gewölbe herunterzubrechen drohten. Am Heiligabend 1961 fand die letzte Christvesper in der Katharinenkirche statt - danach war die Kirche gesperrt und aufgegeben. Die damalige Orgel wurde herausgerissen und ausgeschlachtet.
Ein Pfarrer, der die Kirche 1974 zum ersten Mal besuchte, schildert seinen Eindruck so:
"Ein Gebäude im völligen Zerfall. Die großen Dachflächen hatten riesige Schäden, die Bedeckung des Turmhelmes so zerfetzt, dass Teile des Gebälks herausstarrten, die Fenster waren zerstört, teilweise offen, teilweise mit Brettern vernagelt. Von den Eingangstüren auf der Südseite war die mittlere auf grobe Weise zugemauert, die kleinere links davon mit Balken verbarrikadiert. Traurigkeit und Aufbegehren überkamen mich. An der verbarikadierten Tür entdeckte ich einen offenen Spalt, der einen Einschlupf bot. Ich zwängte mich hindurch, stieg in dem Westvorbau über Berge von Schutt und drang bis zum Turmsockel vor. Und da öffnete sich die Sicht in das Innere des weiten Raumes."