Einwohner Klein Chüdens nahmen mit Gottesdienst Abschied von ihrem Gotteshaus
Zum letzten Mal läutete die Kirchenglocke in Klein Chüden zum Gottesdienst. Die Einwohner nahmen Abschied von ihrem Gotteshaus, das nach seinem Abbau im Freilichtmuseum Diesdorf wieder aufgebaut werden soll.
Zuerst verloren die Klein Chüdener Einwohner während des Zweiten Weltkrieges ihre Kirchenglocke, denn sie wurde als kriegswichtiges Material eingezogen. Und nun mussten sie sich sogar ganz von ihrer Kirche, die seit rund zweihundert Jahren in dem ehemaligen Grenzdorf steht, verabschieden.
Zum Abschiedsgottesdienst waren zahlreiche Besucher aus Klein Chüden, aber auch der näheren Umgebung, angereist. Dass eine Kirche entwidmet, dann abgebaut und woanders wieder aufgebaut wird, ist auch nicht so häufig zu erleben. Die mehr als zehnfache Zahl an Menschen, die der Ort Einwohner hat, sammelte sich Sonntagnachmittag um die Kirche nahe der Straße von Volzendorf nach Ritze.
Noch einmal läuteten Lothar Steffens und Jörg Heimes vor dem Gottesdienst die Glocke am Ostgiebel der Kirche. Das gute Stück stammte ursprünglich aus dem Nachbarort Jahrsau, der 1970 geschliffen wurde.
Roland J. Dyck ließ den Salzwedeler Posaunenchor aufspielen und wem es möglich war, erhaschte ein Plätzchen im Innern der Kirche.
„Kirchen sind Herbergen am Wegesrand der Menschheitsgeschichte“, zitierte Pastor Joachim Thurn einen Theologen. „Sie sind Verweilorte, keine Bleibeorte. Und das Netz dieser Herbergen unterliegt einem geschichtlichen Wandel. Es sei zwar schmerzhaft, von dieser Kirche Abschied zu nehmen, doch müsse die Kirche manche Gebäude aufgeben oder anders nutzen.“ Noch seine Vorgängerin habe so manchen Gottesdienst in dieser Kirche angeboten, doch seit Jahre ist sie nun ungenutzt und leer. Und um das Kirchlein nicht verfallen zu lassen, habe der Gemeindekirchenrat nach einer Verwendung für das Gebäude gesucht. Und im Diesdorfer Freilichtmuseum sei er fündig geworden. Nach dort hin wird das Gebäude samt Glocke umgesetzt und dem Landkreis übergeben. Der Altar, das Kruzifix und die Ehrentafeln gehen als Dauerleihgaben ebenfalls mit nach Diesdorf.
Eine Tafel soll in Klein Chüden zukünftig auf den ehemaligen Standort des kleinen Gotteshauses hinweisen.
Doch zuvor musste die Entwidmung der Kirche erfolgen. Diese Aufgabe oder besser Verwaltungsakt vollzog Superintendent Matthias Heinrich.
„Wir leben mit Spannungen,“ sagte er, „Auf der einen Seite Trauer, dass es in Klein Chüden in absehbarer Zeit keine Kirche mehr geben wird und auf der anderen Seite Freude, dass das Diesdorfer Freilichtmuseum nun bald schon über eine eigene Kirche verfügt. Welches Museum kann es schon von sich behaupten.“
Für Matthias Heinrich ist es nun schon die zweite Kirche, nach der in Birkholz, der entsprechend der Paragrafen 20 und 21 des Vermögensverwaltungs- und Aufsichtsgesetz das Recht der gottesdienstlichen Nutzung als Gottesdienststätte dauerhaft entzogen wird. „Wir geben zwar eine Kirche ab, aber wir geben nicht den Glauben ab. Und vor allen Dingen, Gott gibt uns nicht ab.“ Einige der Anwesenden waren sichtlich gerührt und kämpfen mit den Tränen. Besonders für die Klein Chüdenerin Christa Quastenberg war es ein schwerer Moment. Jahrzehntelang hatte die heute Achtzigjährige die Kirche sauber gehalten und stets mit frischen Blumen versehen.
Und nun gab es an dem Nachmittag als Dank für ihr jahrelanges Engagement von Pastor Thurn einen Blumenstrauß. Für Dr. Jochen Alexander Hofmann dagegen hielt er den Kirchenschlüssel bereit und damit war der Eigentümerwechsel symbolisch vollzogen.
Waltraud Hempel aus dem Ort mag gar nicht an den Moment denken, wenn Handwerker mit dem Abbau der Kirche beginnen. Sie kämpfte mit den Tränen als sie im Namen aller Klein Chüdener in ihrer Kirche noch ein paar Worte des Abschieds sprach.
Superintendent Heinrich nach dem Gottesdienst befragt, ob es der Anfang vom Ende sei, denn die Anzahl der Kirchenbesucher sei ja überall rückläufig, verneinte dieses. Es sei wohl die Ausnahme. Zurzeit verfüge der Kirchenkreis über 215 Kirchen, die schon viele Jahrhunderte überstanden haben, darunter auch wirtschaftlich und glaubensmäßig schwierige Epochen. Es gab immer Zeiten, und das ist in den alten Dokumenten niedergeschrieben, in denen die Kirchen nur mäßig besucht waren. „Wir leben aktuell in einer reichen Zeit, in schlechteren rücken die Menschen enger zusammen und suchen Halt im Glauben.“
Foto: Oliver Becker, Volksstimme Salzwedel, 26. März 2019