Auf eine Tasse Kaffee mit Jürgen Tobel – Pfarramtsekretär der Katharinenkirche und zuständig für die Flüchtlingsarbeit
Jürgen Tobel sitzt zurückgelehnt auf seinem Stuhl am Tisch. Neben ihm sitzen fünf Inder und schauen neugierig, was wohl nun geschehen wird. Jürgen Tobel blickt freundlich. Dass er heute die Hauptperson ist, macht ihn etwas verlegen. „Ich bin doch gar nicht so wichtig“, winkt er ab. Protest von den indischen Flüchtlingen: „Doch, Jürgen ist wie unser Papa oder Opa.“ Jürgen Tobel lacht.
Er ist in der Flüchtlingsarbeit tätig – in der Alten Lateinschule in Salzwedel. „Das liegt mir einfach am Herzen. Anderen helfen, im Sinne der Nächstenliebe, das ist mir eine Herzensangelegenheit“, sagt er. Eigentlich ist Jürgen Tobel Pfarramtsekretär der Katharinenkirche. Zusammen mit Indern, Afghanen und Serben übernimmt er nun aber auch Sozialarbeit.
Dazu zählt zum Beispiel, Veranstaltungen vorzubereiten – auch Gottesdienste. Aber Jürgen Tobel stellt klar: „Ich möchte niemanden missionieren. Jeder soll seinen Glauben behalten. Hauptsache, es bleibt friedlich.“ Ein interkultureller und -religiöser Austausch sei mehr wert. Der Glaube spielte schon immer eine Rolle in Jürgen Tobels Leben, auch wenn er erst vor zwei Jahren getauft worden ist und seitdem als volles Mitglied der Gemeinde zählt. „Ich war vorher in der Erdgasförderung tätig“, erzählt Jürgen Tobel. Mehrere Schicksalsschläge in der Familie haben ihn aus der Bahn geworfen. „Ich bin dann auch noch krank geworden und musste meinen Job aufgeben“, verrät Tobel.
Über Arbeitsgelegenheiten ist er dann 2014 zur Katharinenkirche gekommen und angekommen. „Das Gemeindeleben gibt mir viel“, schätzt der Salzwedeler ein. Dazu zählen auch „seine“ Flüchtlinge. „Wenn sie zu mir kommen und mir ihre Probleme erzählen, zum Beispiel bei Abschiebungsbescheiden, das berührt mich“, gesteht er.
Überhaupt scheint Jürgen Tobel viel auf seine Mitmenschen zu achten. Auf die Frage, was er sich für sich selbst eigentlich wünscht, kommt er ins Stocken. Dass er möglichst lange anderen helfen kann, sei sein Wunsch. Er knetet seine Hände, schaut nach unten. „Ja, ich denke nicht wirklich an mich selbst, weil ich lieber für andere da bin“, sagt Jürgen Tobel. Dann fällt ihm aber doch ein, was er noch gern macht: „Ich interessiere mich für Modelleisenbahnen, bin gern in der Natur und sehr heimatverbunden.“ Mit seinem Bruder habe er sich vor einiger Zeit mal seinen größten Traum erfüllt, eine Weltreise. Jürgen Tobels Augen leuchten, als er erzählt: „Australien, Singapur, USA ... Ich liebe es, abseits der üblichen Touristenattraktionen zu reisen, das Land auf eigene Faust zu entdecken.“ Und da kommen wieder die fremden Kulturen ins Spiel, die Jürgen Tobel so interessant findet. Auch wenn es manchmal schwer sei. „Bei manchen Kulturen bin ich im Zwiespalt“, sagt er. Wenn eine Muslima den Handschlag zur Begrüßung verweigert, sehe Tobel es als kritisch. „In Deutschland ist das ja wie eine Beleidigung. Aber in deren Kultur dürfen Frauen das eben nicht“, erklärt Tobel. „Wie verhält man sich dann? Immerhin sollten sie sich doch schon irgendwie anpassen.“
Seine indischen Freunde geben ihm Recht und nicken. „Ja“, sagen sie. „Man muss freundlich sein und sich anpassen.“ Da lacht Jürgen Tobel wieder und sagt: „Ist doch schön hier, oder? Wie eine Familie.“ Denn eine eigene Familie hat Jürgen Tobel nicht mehr. „Das meinte ich vorhin mit Schicksalsschlägen“, sagt er leise. „Aber hier habe ich eine neue gefunden.“ Er ist eben wie ein Papa oder Opa für seine Flüchtlinge. Und diese Rolle macht ihn stolz.